Claas Tatje wandte sich an uns, um eine neue Wohnung in Hannover zu finden. Soweit nichts Besonderes, aber er hat auch das „Fahrtenbuch des Wahnsinns“ geschrieben. Grund genug, um zu erfahren, was wohl dahinter steckt:
Claas Tatje ist Wirtschaftsredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“. Zwischen 2008-2012 war er als Wochenendpendler zwischen Hannover und Brüssel unterwegs, nunmehr täglich zwischen Hannover und Hamburg. Im „Fahrtenbuch des Wahnsinns. Unterwegs in der Pendlerrepublik“ beschreibt er unterhaltsam das Leben von Berufspendlern und geht den Fragen nach, die sich unsere dauer mobile Gesellschaft dringend stellen sollte: Wen macht Pendeln krank? Was kostet es? Wann wird das Unterwegssein zum Beziehungskiller?
Mit den Öffis ganz entspannt zur Arbeit fahren, bequem das Auto stehen lassen und Sprit sparen, Zeitung lesen, Käffchen trinken, mit netten Leuten klönen, kleines Nickerchen… ist das alles nur ein Mythos Claas Tatje?
Leider ja. Die meisten Pendler stehen täglich unter Stress. Mal kommt der Zug zu spät, dann ergeben sich spontane Termine auf der Arbeit, die den Theaterbesuch am Abend torpedieren. Und das kleine Nickerchen ist kein Vergnügen, sondern Folge der Dauermüdigkeit, die Pendler ereilt, weil sie früher los müssen als ihre Kollegen, die zu Fuß zur Arbeit gehen.
Was war das schönste Pendelerlebnis und was der Super-Gau?
Pendler sind genügsame Menschen: Manchmal (spätabends) fährt ein Zug mit 30 Minuten Verspätung ab und ist dennoch pünktlich am Ziel. Viel schöner geht es nicht. Der Gau war eine Schneekatastrophe in Belgien (15 Zentimeter Neuschnee), die dafür sorgte, dass das Wochenende in der Heimat ausfiel.
Wie pflegt ein Berufspendler seinen Freundes- und Bekanntenkreis? Welche Rolle spielen Smartphone, Social Media und Co?
Mit Kurznachrichten, Anrufen und Emails geht schon eine Menge. Aber Pendler, die mehr als 45 Minuten pro Strecke unterwegs sind, haben keine Chance das gleiche Leben zu führen wie ihre Freunde, die um die Ecke arbeiten. Ein Beispiel: Ich habe jeden Mittwoch Morgen Tennis gespielt und abends regelmäßig mit meinen Freunden Fußball geguckt. Daran ist nicht mehr zu denken, seit ich täglich drei Stunden im Zug verbringe.
Was hat Sie bewogen, in Hannover sesshaft zu werden und wie einfach war die Immobiliensuche? Woran erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang gerne zurück und woran weniger gern?
Ich habe in Hannover 1999 mit dem Ökonomiestudium begonnen und da ich schon im Studium viel mit dem Zug unterwegs war, ist die zentrale Lage ein Riesenvorteil. Selbst nach München kann ich an einem Tag mit dem Zug hin und zurück. An Hannover gefällt mir die Unaufgeregtheit, die schöne List, die tollen Kneipen vor der Tür und die Eilenriede. Und ja, auch der Fußball kann sich bisweilen sehen lassen.
Die Immobiliensuche hatte damals meine Frau in die Hand genommen. Sie hat die perfekte Wohnung gefunden: Eine 5-Zimmer-Altbauwohnung in der List. Die würden wir in Hamburg wohl kaum finden. Grauenvoll war nur die Vermietung der alten Wohnung. Dort hatte der alte Vermieter eine Massenbesichtigung vereinbart und so standen in unserer Wohnung plötzlich 100 fremde Menschen. Zum Glück sind solche Makler mittlerweile eine Ausnahme.
Claas Tatje, vielen Dank für Ihre Ausführungen und noch alles Gute in Hannover.